Überlebensstrategien (I)

Die U5 kommt angeblich 2020. Bis dahin sind wir 43-er Fahrgäste Teil einer natürlichen Selektion. Denn nur die harten kommen durch.

Der tägliche Überlebenskampf in dieser zu jeder Tages- und Nachtzeit hoffnungslos überfüllten Bimlinie hat Menschen schon zu Abenteuerromanen, Motivationsseminaren und Survival-Trainings in Kamtschatka inspiriert. Gerüchten zufolge hat man bei der Fremdenlegion beste Chancen auf Aufnahme, so man langjährige 43-er Erfahrung nachweisen kann. Ein entsprechender Vermerk im Lebenslauf soll bei Bewerbungsgesprächen Pluspunkte bringen (Bewerber ist „ehrgeizig“, „zielstrebig“, „leidensfähig“, „hat Durchsetzungsvermögen“).

An einem ganz normalen Werktag wirkt alleine die Hoffnung, einen Stehplatz zu ergattern, wie purer Hohn. Höhnisch (man kann das freche Grinsen der Fahrer beobachten) rattern stadtauswärts drei bis vier komplett leere Garnituren vorbei, während am Elterleinplatz im gleichen Zeitraum eine bis Oberkante Dachkante vollgestopfte Garnitur in die Station einfährt. Erwischt man eine halbwegs leere, wird man bei der U6-Station „Alser Straße“ mit den freundlichen Worten „Bitte alle aussteigen, Zug fährt Zimmermannplatz“ entlassen. Die Bim dreht um und klingelt sich, völlig leer, fröhlich Richtung Neuwaldegg zurück, von den Menschentrauben auf der Gegenseite neidisch und voller Hass beäugt.

Jahreskartenbesitzer Josef K., nach den letzten Prügeleien um einen Sitz- oder Stehplatz am Schottentor klüger geworden, hat findige Strategien entwickelt, um eine Fahrt im 43-er doch noch halbwegs erträglich zu machen. Wir stellen einige im Folgenden vor:

  1. Man kaufe sich zwei Krücken beim „Bständig“ und versuche sein Glück. Im letzten Moment schiebe man eine der Krücken zwischen die bereits sich schließende Türe und wuchte seine zertrümmerten Knochen mit einem „Gestatten?“ zwischen die Menschenmenge. Für das „Liebe Fahrgäste, bitte machen Sie den Türbereich frei, Sie verhindern die Abfahrt“ entschuldige man sich höflich bei seinen Leidensgenossen („Tschuidigung, das wollt ich nicht, ich kann halt einfach nicht so schnell“). Wird einem dann ein Sitzplatz angeboten (Erfolgsrate: 2 von 10), antworte man mit leidvollem Blick: „Ach, nein Danke, wird schon gehen. Ich fahr eh nur bis zur Endstation“. Räumt dann doch jemand seinen Sitzplatz, weil er nicht nur von den anderen Fahrgästen, sondern auch vom schlechten Gewissen schier erdrückt wird, nehme man das freundliche Angebot mit einem „Gott segne Sie!“ an, starre den Rest der Fahrt mit verklärtem Gesicht (ein Hauch von „Das Leben meint es bös mit mir, aber zum Glück gibt es noch anständige Menschen“) aus dem Fenster und freue sich seines Lebens. Das sardonische Lächeln sollte man sich nur denken.
  2. Sperrige Dinge auf den Rücken schnallen/mitnehmen: Cello, Fakirnagelbrett, Harfe, Matratze, Ikea-Regal, 52“-Plasma-TV, Sauerstoffflaschen, Gepäck für einen mehrwöchigen Urlaub. Sorgt in Nullkommanichts für mehr Bewegungsspielraum.
  3. Eine vorgetäuschte Schwangerschaft im achten Monat. (Entfällt für männliche Jahreskartenbesitzer.)
  4. Ist das Kind dann da, pflügt man sich den Weg mit einem Kinderwagen frei (am besten entscheidet man sich für einen dieser Doppelsitzer für Zwillinge). Tipp auch hier: Im letzten Moment einsteigen, wenn der Zug schon abfahrbereit ist und die Positionen der anderen Fahrgäste bezogen sind.
  5. Blindenschleife, Blindenstock und Blindenhund. Der Klassiker. Mit dem Blindenstock rührt man einmal kräftig um und wartet auf den fast schon sicheren Sitzplatz. Schönheitsfehler: in 7 von 10 Fällen wird dem Blindenhund der Sitz freigemacht. Die Wiener lieben halt ihre Köter.
  6. Verkleidet als Maria Vassilakou mit Fahrrad. Selbsterklärend. In der Doppelconference geht einer als Bürgermeister. Schönheitsfehler: Selbsterklärend, aber vorteilhaft raumgreifend.
  7. Raumgewinn durch den Körpergeruch-Trick: Eine Woche nicht duschen und am besten mit Schnapsfahne und Kater vom Vortag die Bim entern. Schönheitsfehler: Schon zu vielen Menschen bekannt. Speziell im Sommer eine gern praktizierte Perfidität.
  8. Spiderman-Kurs auf der VHS Ottakring machen und einfach gemütlich an der Decke hängen. Schönheitsfehler: Es gibt keinen Spiderman-Kurs auf der VHS Ottakring.
  9. Bowlingkugel: So weit wie möglich ausholen und schauen, wie viele stehenbleiben.
  10. Eigenen Sitzplatz immer mitführen. Ohrenbacksensessel, Ecksofas und barocke Chaiselongues haben sich in der Praxis bewährt. Langjährige Mitarbeit bei einer Klavierspedition von Vorteil.
  11. Wieder aufs Auto umsteigen. Schönheitsfehler: politisch nicht korrekt.

Na dann. Frohes Gelingen. Nächster Halt: Platzangst.

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