Ines

Gestern Abend erhielt ich einen Anruf von einer mir unbekannten Nummer:

„Hallo“.

Die weibliche Stimme kam mir bekannt vor, konnte sie allerdings nicht sogleich zuordnen:

„Hallo. Wer spricht?“

Ein kurzes Schweigen am anderen Ende der Leitung.

„Ich bins, Ines“. Es war Ines! Ines wars!

„Ah, Ines“

„Ich bin verschnupft, wahrscheinlich hast du mich deshalb nicht gleich erkannt.“

„Das erklärts. Hast du deine Nummer geändert? Ich hab sie nicht eingespeichert.“

„Ja, hab Provider gewechselt …“

„Das erklärts.“

„Musste mich einfach mal wieder melden – du rührst dich ja nie. Diese Stille zwischen uns … ich ertrag das nicht mehr. Ich meine … nach allem was war zwischen uns“

Ich versicherte Ines, dass es mir im Grunde genauso ginge, speziell nach allem was zwischen uns gewesen sei:

„Weißt du Ines, mir geht es im Grunde genauso. Nach allem was zwischen uns gewesen ist …“

„Und wieso rufst du mich dann nie an?“ Ines klang ein wenig vorwurfsvoll. Ich musste versuchen, Spannung aus der Situation zu nehmen.

„Tja, Ines … ich weiß auch nicht. Die Tage, Wochen und Monate ziehen ins Land …“

„Jaja, komm mir nicht mit Sprüchen wie ‚Ich hab so viel zu tun‘. Egal – ist ja immer das gleiche mit dir! Wie gehts dir sonst?“

„Mir gehts immer gut und dir Ines?“

„Ach weißt du, diese Schlafwandlerei macht mich fertig …“

„Aha, das Schlafwandlerproblem … wird das denn nie besser?“

Wir redeten noch etwa eine Stunde über dies und das, zum Beispiel über ihren deutschen Schäferhund „Bodo“, der mich, wie wir belustigt feststellten, niemals leiden konnte, über unsere Italienreise vor 12 Jahren und über unseren gemeinsamen Sohn Paul, dessen schulischen Leistungen zu wünschen übrig ließen. Ich versprach, Paul bei der nächsten Gelegenheit ins Gebet zu nehmen.

„… denn so gehts ja wirklich nicht, Ines. Paul hat zu lernen und nicht mit Schulfreunden den ganzen Tag im Kunsthistorischen Museum rumzuhängen“.

Das sah Ines natürlich genau so, aber es sei mitunter schwierig mit ihm. Ich kenne den Kleinen ja und wisse, dass er sich so gut wie nichts sagen ließe.

„Du hast ja recht, Ines. Ich krieg das in den Griff“, versprach ich ihr.

Nach gegenseitigen Beteuerungen, dass man einander – trotz allem, was zwischen uns gewesen war – vermissen würde, sprach ich noch kurz mit dem uneinsichtigen Paul, der mir frecherweise antwortete:

„Du hast mir genau gar nix zu sagen, du alter Sack!“

„Na warte, wir sprechen uns noch, darauf kannst du Gift nehmen! Was glaubst du, wer du bist??“, schrie ich in mein Handy und legte wutentbrannt auf.

Ich ärgerte mich über Paul, der offensichtlich keine Erziehung hatte und über Ines, die erst jetzt mit all diesen wichtigen Problemen auf mich zukam – nach all dem, was niemals zwischen uns gewesen war. Denn ich hatte keine Ahnung, wer diese Ines am anderen Ende der Leitung war …

 

 

 

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Eine Antwort

  1. 20. Juli 2014

    […] Ines (1) […]

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