Interview mit einem Warmbier

Werte Leserschaft, Enthüllungsjournalismus ist eigentlich nicht meine Stärke. Aber manches Mal muss ein Mann tun, was ein Mann eben tun muss. Jüngst wurde ich im Umfelde der ansonst so heiteren Bierlandschaft einer Untergrundszene gewahr, die der Aufarbeitung bedarf: Durch schlimmste Behandlung des Schankpersonals in die Illegalität gedrängte Biere. Biere, die untrinkbar ihr Dasein fristen und jedwede Hoffnung auf bessere Tage längst aufgegeben haben. Biere, deren Perspektivlosigkeit bei schalem Blubbern beginnt und im Ausguss endet. Lesen Sie dazu meinen aufrüttelnden Insiderbericht, den ich nahezu unter Lebensgefahr den Imponderabilien der Zeit entriss.

Meine Recherchen gestalteten sich anfangs naturgemäß äußerst schwierig. Nach längerem, behutsamen Vorfühlen in einschlägigen Internetforen und vor Ort in der Szene, gelang es mir schließlich aber doch, ein betroffenes Bier zu einem Stelldichein zu überreden. Dies hatte aufgrund eingeschleuster Spione der Braukonzerne unter strengster Geheimhaltung zu geschehen.  Unter Aufbietung all meiner aus James-Bond-Filmen gewonnenen Erkenntnisse, Tricks und Kniffe versuchte ich also, ein Treffen zu arrangieren, ohne die Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen.

Nach mehreren gescheiterten Versuchen ist es dann aber so weit: An einem verregneten Dienstag mache ich mich, den Wanst voll der Spannung, unauffällig als argentinischer Gaucho getarnt, zum vereinbarten Treffpunkt in einem Lokal Ecke Hernalser Hauptstrasse/Wattgasse (Name der Red. bekannt) auf. Nervös, mit irrlichternden Schaumbläschen um sich lurend, wartet das Bier, das an dieser Stelle einfach nur “Carlos” genannt werden möchte, bereits an einem der hinteren Tische. Anhand des vereinbarten Zeichens – Carlos trägt eine Nelke im Knopfloch – erkenne ich es sofort. Wir begrüßen uns flüchtig, und nach einer Versicherung, dass ich all meine Verfolger abgeschüttelt hätte, weicht langsam die Spannung von meinem Gegenüber. Von nun an  reden wir ganz offen.

Zwickel: Herr “Carlos”, ich kann zunächst nicht umhin zu bemerken, dass Sie trotz Ihres mir bereits in groben Zügen bekannten Leidensweges einen äußerst frischen, ja, ich möchte fast behaupten: rezenten Eindruck auf mich machen! (siehe Foto)

Herr Carlos

Carlos: Magister – alles Schall und Rauch. Lug und Trug. Jacke wie Hose. Rotkäppchen und der böse Wolf, Laurel und Hardy. Künstlicher Schaum und eine Kohlendioxidinfusion  – farblich habe ich mich mit einem Schuss Jägermeister in Form gebracht. Rein kosmetische Maßnahmen. In meinem Zustand könnte ich mich sonst nicht unter Menschen wagen. Man würde mich auf der Stelle enttarnen und einkassieren!

Zwickel: Dass Sie sich mir heute anvertrauen ist ein mutiger Schritt.

Carlos: Sie mögen das so sehen, aber einer muss ja einmal den ersten Schritt tun, sonst bleibt unser Dasein unbeachtet – ewiglich!

Zwickel: Ich darf also davon ausgehen, dass schale, warme oder sonst in irgendeiner Form an der Schank misshandelten Biere zahlreicher sind, als mein gemeiniglich annehmen möchte?

Carlos: Worauf Sie sich eines zapfen können! Wenn ich Ihnen sage, dass wir Myriaden sind, so ist dies nicht übertrieben. Die Dunkelziffer dürfte aber weit höher liegen.

Zwickel: Was meinen Sie mit “Dunkelziffer”?

Carlos: Tja, und damit wären wir beim Thema! Etwa 50% der schlecht gezapften, schlecht gekühlten oder durch unzureichende Schankhygiene verkrüppelten Biere gelangen nämlich trotzdem zur Ausschank. Es gibt Wirte, die sind einfach Halunken und machen dem unkundigen Gast ein X für ein U vor.

Zwickel: Ein interessanter Punkt. Bewusste Vertuschung also?

Carlos: Ganz recht. Und das in großem Stil. Wir echten Stiefkinder landen auf der Straße, so wir entkommen – als lebendige Zeugen der Sünde ständiger Verfolgung durch Wirte und Brauer ausgesetzt. In verwinkelten Gassen vegetieren wir im Zwielicht und fliehen die Gesellschaft.

Zwickel: Ein Leben unter schwierigen Umständen. Erzählen Sie mir davon.

Carlos: Was soll ich sagen. Eine ständige Gratwanderung zwischen Selbstaufgabe, fortgesetztem Aufkarbonisieren und Schaumkosmetik. Einzig der Duft nach verfaultem Badeschwamm macht uns zu schaffen. Dagegen finden wir kein rechtes Mittel. Für den Nichtkenner aber nicht zu identifizieren. Sie sehen ja, was tagtäglich in den Gaststuben serviert und nicht beanstandet wird. Irgendwie, so haben wir alle den Eindruck, müssen wir am Leben bleiben, um dereinst Zeugnis ablegen zu können von den an uns verübten Verbrechen und den uns zugemuteten Repressalien.

Zwickel: Woher nehmen Sie die Mittel, um diesen Apparat aufrecht zu erhalten?

Carlos: Das möchte ich nicht näher beleuchten. Nur so viel: Wir haben einflussreiche Gönner aus der Weinindustrie. Von ihren Spenden zehren wir.

Zwickel: Nun möchte ich aber doch einmal von Ihnen probieren, Herr Carlos!

Carlos: Bitte, tun Sie sich keinen Zwang an, überzeugen Sie sich selbst. Aber ich warne Sie!

Liebe Leser, an dieser Stelle scheut es mich, Ihnen den Ausgang des Gesprächs in allen Details zu schildern. Nur soviel sei glossiert: “Carlos” landete im Ausguss, und ich trank auf den Schreck hin 16 frische Seidln in der Alsbachprinzessin. Mit der illegalen Szene der Warmbiere räumten wir in den nächsten Tagen gehörig auf. Denn das Leben ist zu kurz, um sich mit solchen Grauslichkeiten zu umgeben …

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

css.php