Die Elchkäse-Affäre

Frau Haberklee, meine hochbetagte Nachbarin, ist ein wahrer Goldschatz. Man kann sich eigentlich keine bessere Nachbarin wünschen. Manchmal hilft sie mir mit den Einkäufen, trägt die ein oder andere Kiste Bier in den 4. Stock hinauf, oder jagt mit ihrem Rollator kurzerhand die Tauben, die meinen im Innenhof geparkten MINI Cooper S vollscheißen. Verende ich nach einem bierumwölkten Abend vor ihrer Wohnungstüre, bringt sie mich liebevoll ins Bett, kocht mir Pfefferminztee und putzt anschließend ungefragt meine Wohnung durch, und das ungeachtet ihrer lädierten Bandscheiben. „Jessasmarantjosef, die jungen Leit …“, pflegt die Witwe eines Nadelöhrfabrikanten amüsiert, nicht aber ohne linden Tadel, bei solchen Gelegenheiten zu verlauten. Mein gutes Einvernehmen mit Frau Haberklee bietet aber auch noch andere Vorzüge: Sie übernimmt nämlich meine Paketsendungen, so ich nicht daheim bin (und das bin ich eigentlich nie). Genau dieser seit langem etablierte und für mich höchst vorteilshafte Usus entwickelte sich eines Tages jedoch zum Schlamassel, präziser formuliert in jenem Moment, da ich mich, vom Teufel selbst geritten, dazu hinreißen ließ, zwei Kilogramm Elchkäse in einem schwedischen Online-Käseshop zu ordern. Einhundert Gramm dieser außergewöhnlichen und seltenen Käsespezialität kosten 40 Euro. „Was kostet die Welt!“, rief ich beschwingt, als ich auf den „Köp nu!“ („Jetzt kaufen!“)-Button klickte, fühlte ich mich doch nach dem Eingang des Honorars für meine letzte Kolumne im „Bierigen Blatt’l“ wie Krösus persönlich und finanziell unantastbar.

Unantastbar war dann leider auch der Elchkäse. Wie üblich hatte Frau Haberklee in ihrer unermesslichen Güte mein schwedisches Spezialitätenpäckchen übernommen – und war dann flugs und ohne weiter an mich zu denken in Richtung eines dreimonatigen Kuraufenthalts abgedampft. An dieser Stelle war guter Rat ebenso teuer wie der achthundert Euro schwere Inhalt des in Frau Haberklees Wohnung lagernden Packerls. Was also war zu tun, um vor seiner zwangsläufig eintretenden Kompostierung an diesen meinen Käse zu gelangen? Die mir zur Verfügung stehenden Optionen, Zutritt zum Haberklee’schen Käselager zu erhalten, waren freilich überschaubar.

Nach zwei Tagen des Nachsinnens kam ich schließlich auf das Naheliegendste: Ich musste wohl oder übel in dieser Bude einbrechen – oder besser noch – einbrechen lassen. Einmal diesen folgenschweren Entschluss gefasst, wandte ich mich vertrauensvoll an einen gewissen Daniel Ozean, Mastermind seiner selbst und Stammgast in der Alsbachprinzessin. Seine Referenzen waren fabelhaft, zuletzt aber war er mit seinem Team bei einem bewaffneten Raubüberfall auf ein Käsespezialitätenfachgeschäft in der Innenstadt geschnappt worden. „Zwickel, nie wieder sauf i sechzehn Vierdel vor an Coup – wir hom im Suff die Eingangstür mit der vom Juwelier nebenan verwechselt … fünf Johr eisitzen wegen a poar Kilo Elchkas … i sogs da …“. Wir besprachen das notwendigste. Nur so viel: Ozean wurde drei Nächte später vis-à-vis von Frau Haberklee in der Wohnung des Hausmeisters von der WEGA festgenommen – besoffen wie ein südmährischer Bürstenbinder. „Oide Urschel, rück den Kas vom Zwickel ausse!“, soll er der Hausmeistersgattin kurz vor seiner vom Staat gesponserten Taxifahrt in die Josefstadt noch an den Kopf geworfen haben.

Nach einem dreiwöchigen Urlaub in Kolumbien war ich mir sicher, dass Gras über die Sache gewachsen war und flog, den Rucksack voll mit der Spezialität des Landes – drei Kilo Staubzucker – nach Wien zurück. Durchs Stiegenhaus zog brenzlig-süßlicher Verwesungsgeruch.

Not war am Mann, es half alles nichts: In der folgenden Nacht brach ich persönlich in die Wohnung von Frau Haberklee ein. Mit Daniel Ozean, diesem Vorstadtamateur, der ständig wegen ein paar lächerlichen Stückchen Käse im Knast landet, war schließlich kein Staat zu machen.

Im Wohnzimmer ertappte ich Herrn Gary von Nummer 5 auf frischer Tat. „Wissens, meine chinesischen Kunstschlangenleder-Schuhe von Zalando …“ versuchte sich dieser schamlose Verbrecher herauszureden. Ein paar Tränchen kullerten seine geschwärzten Wangen herab. Unter dem Sofa lag zitternd Frau Ansbach, den Seitenschneider zwischen den Brüsten – sie sorgte sich um zwei Kerzenleuchter und eine Strickweste. Charly, Sohn des Hausmeisters, winkte mit einem XBox-Spiel vom Kronleuchter herab. Aus der Abstellkammer flüchtete der Vizeleutnant von Top 7, ein Amazon-Paket im Koppel, ins Stiegenhaus. Er warf eine Blendgranate in den Flur, um seinen Rückzug zu decken. „Ihr Deppen, mich kriegts ihr nicht. Geronimoooo!“, gefolgt von diabolischem Gelächter, war das letzte, was ich vor meiner temporären Erblindung mitbekam. Vom Dachgeschoß seilte sich der junge Philosophie-Student auf den Haberklee-Balkon ab. „Schokoladenkuchen aus Amsterdam … was ganz Besonderes … kriegt man in der Qualität hier nirgends …“, rechtfertigte er sich. Wir nahmen unsere Habseligkeiten, versprachen einander, niemals hier gewesen zu sein und verabschiedeten uns. Gerade wollte ich das Fenster wieder einsetzen und die kurzgeschlossene Alarmanlage aktivieren, als ich aus dem Gebüsch unter mir leises Wimmern vernahm. Es war der völlig verzweifelte Studienrat Ziwischetz. „Und wer hilft mir jetzt mit dem Klavier und dem Wandverbau vom Kika?“. Ich hatte einfach Mitleid …

Am nächsten Morgen lag ich mit einem mittelschweren Bandscheibenvorfall und tränenden Augen im Bett und stellte überrascht fest, dass kolumbianischer Staubzucker etwas ganz Besonderes war. Kriegt man in der Qualität hier nirgends. Den Elchkäse hatte ich in der Wohnung von Studienrat Ziwischetz vergessen. Er war ganz früh für ein halbes Jahr auf Forschungsreise nach Indien geflogen …

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