Pythagoräische Verkehrsberuhigung

Als Mathematikprofessor im Ruhestand, der schon einst den Parhamerplatz’schen Gymnasiasten aufzeigte, wo bei Euler und Leibniz der Hammer hängt, gilt F. auch heute noch als Mann von allerpräzisestem Benehmen und größtmöglicher Effizienz. Große Außenwirkung zeigt dieser Wesenszug der F.’schen Person besonders bei einem: seinem Gehen. Oder genauer: seinem Gehen im öffentlichen Verkehrsraum.
Denn anstatt, wie andere Zeitgenossen mit weniger geisteswissenschaftlichem Background, die mit viel Liebe und Sorgfalt und durchaus nicht ohne Hintergedanken in die Landschaft gelegten Gehsteige zu benutzen, kürzt F. ab. Und zwar konsequent und nach bester pythagoräischer Methode.


Die lehrt uns ja bekanntlich, dass die Wahrscheinlichkeit, sich Blasen an die Fersen zu hatschen dann am allergeringsten ist, wenn man es sorgfältig vermeidet, beim Beschreiten eines rechtwinkeligen Dreiecks, die beiden Katheten zu benutzen,  sondern anstatt dessen schnurstracks die Hypotenuse entlang zu spazieren – die ist in Summe nämlich deutlich kürzer.
Was sich hier noch recht diffus und hypothetisch anhört offenbart seinen ganzen Sinn sofort, belegt man Kathete, Ankathete und Hypotenuse mit verkehrstechnisch praktischeren Begriffen. Beispiel:
Ankathete =  Gehweg auf der linken Seite der Lacknergasse, die Rötzergasse mit der Pezzlgasse verbindend und, sieht man von der mäßigen Verschmutzung durch allerlei Haustierausscheidungen ab, im Normalfall ungefährlich zu beschreiten.
Kathete = kürzeste Möglichkeit, die Lacknergasse auf Höhe Pezzlgasse zu überqueren und dabei gleichzeitig ein absolutes Mindestmaß an Aufmerksamkeit beim herrschenden Individualverkehr zu erregen.
Hypotenuse = Diagonale, die schon an der Ecke Rötzergasse beginnt und die ihr Ende, quer über die Lacknergasse verlaufend, an der ungefähr fünfzig Meter entfernten rechten Straßenecke zur Pezzlgasse hat.
F. ist also ein Hypotenusenspaziergänger, nicht immer zur Freude der Autofahrer, die sich für gewöhnlich nicht allzusehr um alteingesessene Mathematikprinzipien kümmern (alles verkappte Naturwissenschaftler!). So entspann sich letztens folgender Dialog zwischen F. und einem erregten Automobilisten:
A: „Herst, oida Trottl, putz di von da Gossn obe!“
F. winkt dem Hocherregten seelenruhig und nicht unfreundlich mit seinem Gehstock zu. Die Geste signalisiert insgesamt etwa: nur kein Stress, bittschön.
A: „Jo derf denn des woar sei? Schleich’n soisd di, hob i gsogt, sunst foari da des Kreiz oh, du Kreatur!!“
An dieser Stelle dreht sich F. zu seinem Gesprächspartner um und fasst ihn das erstemal näher ins Auge.
F: „Wimazal? Bist du das?“
A: „Jössas, da Herr ‚fessa! Herns, wos treims’n do? Ihna wiad no wer niedafiarn!“
F: „Krieg ich von dir nicht noch zwei Hausübungen, Wimazal?“
A: „Wos woins? Herns, des woar in die Ochzgajoar. Na, miar wiard des do z’deppad!“
Hier bestieg Wimazal wieder sein Kraftfahrzeug, setzte einige Meter gegen die Einbahn zurück und ergriff die Flucht. F. dachte noch kurz über das eben Geschehene nach, murmelte ein abschließendes „So ein Lauser … “ und setzte seinen Weg fort.
Entlang der Hypotenuse, versteht sich.

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