Von Playmobiltauchern und einer Mundharmonikaaffäre

 

Alfred Schabhüttel kann einem schon leidtun. Treffe ich einen Menschen zum ersten Mal kommt er in eine Schublade, und ich habe auch immer gleich einen passenden, die Persönlichkeit mehr oder minder beschreibenden Satz parat. Bei Schabhüttel dachte ich mir damals: “Den hätt ich auch gern!”.

Wir waren vier Jahre alt und die Vehemenz, mit der er seinen Playmobiltaucher verteidigte, auf den alle anderen Buben im Kindergarten – inklusive mir – spitz waren, ja dieser daseinsverachtende Mut, den er in die aussichtslose Schlacht warf, war schon aller Ehren wert. Genützt hat es ihm freilich nichts, denn wir waren in der Überzahl. Das dürfte wohl, wie ich nachdenklich feststelle, der Knackpunkt, die entscheidende Wende im Leben des Alfred Schabhüttel gewesen sein – und ich bin schuldig. Genau da fing es an mit den Komplexen und der steten Fahrt bergab auf Schabhüttels Lebensstraße – ein “Turning Point”, der aus einem normal sich entwickelnden jungen Menschen ein psychisches Wrack und einen Dauerversager macht.

Alfred Schabhüttel kann einem schon leidtun. Was mit einem Playmobiltaucher begann, endete irgendwann in einem Wust aus Komplexen. Schabhüttel ist ein menschlicher Scherbenhaufen. Er entschuldigt sich dafür, zu atmen. Er entschuldigt sich beim Taxifahrer, wenn er diesen auf eine schnellere Fahrtstrecke aufmerksam macht. Er entschuldigt sich beim Straßenräuber, wenn er kein Bargeld bei sich hat, dabei hat der verschlagene Hund neben seinem richtigen Geldbörsel immer eine leere Dummybrieftasche für genau solche Notfälle bei sich. Er entschuldigt sich dafür, am Leben zu sein. Er fürchtet, sein Herz könne jeden Moment aufhören zu schlagen. Er geht auf Zugfahrten niemals aufs WC, weil er Angst hat, der Zug könnte entgleisen, und er würde mit heruntergelassenen Hosen in dem engen Kabuff eingeklemmt werden. Aus dem gleichen Grund duscht er nur in Badehose: sollte ihn der Schlag treffen, will er sich nicht nackt jenen Menschen präsentieren, die seine Wohnung aufbrechen müssen. Für sämtliche Eventualitäten und Unbilden des Lebens scheint Schabhüttel bestens gerüstet: aus Angst, Menschen könnten hinter seinem Rücken schlecht über ihn reden, hat er Türkisch, Kroatisch, Arabisch und Persisch gelernt, damit ihm in den Wiener öffentlichen Verkehrsmitteln keine noch so dezent auf ihn gemünzte Anspielung entgeht. Die Verkehrspilotenausbildung hat er absolviert, um im Notfall die Maschine sicher landen zu können. Seine 76m² Ottakring sind ihm heilig und immer picobello in Ordnung. Die Vorstellung, ein Cobraeinsatzkommando oder die CIA würden des Nachts seine Wohnung stürmen und einen Saustall vorfinden, lässt ihm keine Ruhe. Aus Angst vor der Enttäuschung danach spielt er nicht Lotto. Hinter jedem Menschen, der ihn auf der Straße anspricht, vermutet er einen professionellen Trickbetrüger. Mit Politikern ist es das gleiche. Für den Fall, dass er unvermittelt im Schlaf stirbt, schläft er nur im dunklen Anzug mit Krawatte, das Testament auf dem Bauch in den Händen haltend – damit das Bestattungsunternehmen alles wohl vorbereitet vorfindet und die nicht vorhandenen Erben ihn nach seinem Tod nicht übers Ohr hauen können. Von Schabhüttel und den Frauen fange ich gar nicht erst an. Die Marke “Playmobil” existiert für ihn nicht mehr.

Irgendwann in seinem Leben hat er Paul Watzlawick gelesen. Seitdem ist er, wie er nicht müde wird zu betonen “ein vom Unglück Begünstigter”.

“Magister, ich bin ein vom Unglück Begünstigter”, hat er mir eines Tages also eröffnet.

“Fang bitte nicht wieder von diesem Playmobiltaucher an …”

“Du wühlst in alten Wunden, die längst verheilt sind. Heute kann ich mir Hunderte kaufen”.

“Stimmt”

“Ich bin eine arme Sau. Ich stehe, das ist eine Tatsache, immer in der längsten Schlange. Egal wo.”

“Die Schlange in der man steht ist immer die längste, Fredo”

“Warte ich auf eine U-Bahn, fahren zunächst drei, vier in die entgegengesetzte Richtung ein, bevor mein Zug kommt. Stelle ich mich demonstrativ auf die andere Seite, kommen ebenso drei, vier, fünf in die andere Richtung. Vor neun Jahren habe ich einem Cousin, der im Irak einen Gemischtwarenladen betreibt, eine Kiste Mundharmonikas geschickt, woraufhin ich nicht nur Einreiseverbot in die USA bekommen habe, sondern in weiterer Folge mehrfach vom CIA und vom Bundesnachrichtendienst verhört wurde. Ein Prozess wurde anhängig. Die Anschuldigungen, die man gegen mich vorbrachte, habe ich schlussendlich freilich auch verstanden: illegaler Handel mit Mundharmonikas. Unterstützung terroristischer Aktivitäten eines Schurkenstaates. “

“Aja, Fredo – hab mich damals eh über die hübsche Ansichtskarte aus Guantanamo gewundert”. Fredo spult sein Tonband einfach weiter ab:

“In Restaurants, so habe ich die Beobachtung gemacht, bekomme ich nicht nur die kleinsten Portionen, sie sind auch, im Falle der Suppen die heißesten, im Falle der weiteren Gänge die kühlsten. Im Bierglas ist mehr Schaum als in anderen. Mein Eis ist immer geschmolzen, esse ich Nusskuchen, beiße ich auf Nussschalen. Bin ich des abends zum Fischessen eingeladen, so hat meine Portion die meisten Gräten, schlimmer noch: ich habe als einziger Gräten in meinem Fisch.”

“Nana …”

“Nix nana. Was ich anpacke, gereift zur Misere: gewinne ich einmal in meinem Leben einen Stabmixer bei einem Preisausschreiben, an dem meine Mutter in meinem Namen teilgenommen hat, geht mein Gewinnberechtigungsbon auf dem Postweg verloren. Die schönsten Frauen sind natürlich schon vergeben, und in Kinos sitzen die größten Leute immer nur vor mir. Sogar die Lebensmittelindustrie hat es auf mich abgesehen: Wie oft kommt es vor, dass man eine Schachtel feinster Pralinen zu beanstanden hat? Nun, mir ist es in den letzten drei Monaten fünf Mal passiert. FÜNF MAL! Die ganze Mühe: Schachtel einschicken, Kaufpreis zurückfordern, im Notfall Anwälte einschalten. Papierkram noch und nöcher”

“Ein Hundeleben”.

“Die Mundharmonikas haben mir übrigens das Genick gebrochen. Haben angeblich Disharmonien zwischen Amis und Irakern erzeugt und die Lage erheblich destabilisiert.”

“Verständlich – Ohrenterrorismus pur. Würd mich nicht wundern, wenn einige von den armen amerikanischen GIs heut noch unter posttraumatischem Stresssyndrom litten. Mundharmonikas in den Irak – sowas Blödes muss einem erst mal einfallen! Einfach ungeschickt, Fredo. Speziell nach diesem Tamtam mit den Massenvernichtungswaffen. Und du gießt auch noch Feuer ins Öl. Was kam raus?”

“Sieben Jahre Einzelhaft durch ein amerikanisches Schnellgericht. Bin einigermaßen günstig weggekommen – der Chefankläger hat acht Jahre beantragt.”

“Na bitte Fredo – nicht alles läuft schief!”

“Stimmt schon. Die sieben Jahre auf Kuba waren ja auch irgendwie interessant.”

“Siehst, ICH war noch nie auf Kuba. Du bist so alt wie ich und hast schon so viel von der Welt gesehen”

“Vielleicht hast du recht, Magister … “

“Immer die positiven Seiten sehen. Klimatisch sicher ein Traum dieses Kuba”

“Naja, Honeywell Fancoils …”

“Sogar klimatisiert untergebracht! Wir schwitzen hier im Sommer wie die Schweine – und du beschwerst dich auch noch! Sagenhaft”

“Wahrscheinlich bin ich einfach nur paranoid”

“Wer wenn nicht du, Fredo?”

“Dieses Waterboarding geht aber schon an die Substanz”

“Wassersport ist gesund. Frag mal deinen Playmobiltaucher”

Ich fühle den umklammernden Griff zweier Hände an meinem Hals.

Alfred Schabhüttel kann einem schon leidtun. Aggressiver, paranoider Komplexler!

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