Peppi Schmalz – Türkenbelagerung

Liebe Leser, wir können es nicht länger geheim halten: der Frühling ist ausgebrochen, Schneeglöckerl und Märzenbecher wurden bereits in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt, und, zum Entzücken ihres nichtswerten Autors, wagt es auch so mancher Vorstadtgastronom, verschämt aber doch, Tische und Sessel zwecks Andeutung eines Schanigartens auf die Gehsteige zu räumen. Jetzt hat diese bei allen ansonsten hochbeliebte Jahreszeit aber nicht nur Vorteile. Ein Hauptübel des Frühlings ist, dass plötzlich und mit den Autor fassungslos machender Breitenwirkung, das Spinnerte in die Menschenhirne einfährt, sprich: Frühlingsgefühle, also jene Herzensregung, die – mag es meinethalben irgendwelchen olfaktorischen Lockstoffen in der guten Hernalser Luft geschuldet sein – die Leut deppert macht. Auch den Peppi Schmalz, der im Augenblick völlig neben sich, und mit leuchtenden, straßenbahnroten Herzerln in den Augen den Bezirk unsicher macht.

Des Peppis Objekt der Begierde: Fatima! Ihres Zeichens verschämte und schüchterne Backwarenverkäuferin beim Merkur am Parhammerplatz – ein scheues Reh hinter Brotlaiben. Eines dürfen sie mir glauben: in seinem ganzen Leben hat der Peppi keine derartigen Mengen an Semmeln, Laugenstangerln, Sesamweckerln oder Vollkornbrezeln gekauft, geschweige denn konsumiert. Und dies alles der Liebe wegen. Ob dieser Manie hat unser Peppi natürlich auch schon einiges an Aufsehen erregt, es fällt nunmal auf, wenn einer wie der Peppi, täglich an die zehn- bis fuffzehnmal in den Merkur reinspaziert, um, die vor Ort lagernden Biergebinde völlig außer acht lassend, schnurstracks zur Backwarentheke zu hecheln, und dann buchstäblich zig Minuten lang in tiefer, testosteronbedingter Verwirrung zu verharren: Bauernbrot oder Salzstangerl?

An dieser Stelle sei erwähnt, dass Fatima zwar von ihrer Art her lieblich, zart, scheu und ganz und gar entzückend ist, ihr Äußeres den unbedarften Beobachter jedoch nichts von diesen Eigenschaften ahnen lässt. Oder anders formuliert: Walküre auf türkisch. Aber man kann es sich ja niemals aussuchen, wo die Liebe hinfällt, und wer weiß: vielleicht ist es ja gerade dieses Übermaß an erotischer Nutzfläche, über das Fatima gebietet, das den Peppi so narrisch macht.

Wie gesagt: die Leut reden schon über den Peppi. Genauer gesagt, die anderen Merkurmädels, und noch genauer gesagt: die Lydia, ihres Zeichens frisch angelernte Merkur-Regalbetreuerin (Nudeln und Naschwerk), mit einem unbändigen Ehrgeiz, möglichst bald die Karriereleiter zu erklimmen, um dann hinter einer der zwanzig Merkurkassen Platz nehmen zu können.  Einfach scannergeil. Und diesem Typus Mensch ist ja beinahe alles zuzutrauen. Auch, dass die gute Lydia nun den lieben langen Tag nichts anderes mehr zu tun hat, als Gott und die Welt, ob die das nun wollen oder nicht, vom Peppi und seiner Leidenschaft für Fatima vollzutratschen. Und wenn jemand so dahinter ist, fanatisch Stein um Stein in den Bezirksgerüchteteich zu werfen, dann darf es nicht verwundern, dass das Wellen schlägt.

Und es waren genau diese Wellen, die gestern vormittag dann, schon zur kräftigen Brandung geworden, an den Gestaden vom Peppi Schmalz aufschlugen. Und zwar just in dem Moment, als jener eben wieder frischen Mutes den Merkur betreten wollte, um seinem Liebchen den ersten Besuch des Tages abzustatten. Leider kam der Peppi nicht mal durch die Eingangstür, da verdunkelte sich der Himmel und Kollege Schmalz fand sich von jenen sechs Nachteilen umringt, die eine Beziehung – und sei sie auch noch so platonisch – zu einem jungfräulichen, semmelverkaufenden Mädel aus der Türkei eben so mit sich bringt: ein Vater, zwei Brüder, zwei Onkel und ein Cousin. Allesamt Familienmenschen, versteht sich. Und allesamt gut einen Kopf größer als Peppi Schmalz.

Glücklicherweise gewannen in diesem Augenblick die, in jahrelanger Obdachlosigkeit antrainierten Überlebensinstinkte im Peppi die Oberhand über das Frühlingswischiwaschi, und anstatt sich mit den ihn umgebenden Herren auf einen wohl eher unkonstruktiven Diskurs einzulassen, tat er, was wohl jeder in dieser Situation getan hätte. Er deutete blitzartig über die nächstbeste Schulter hinweg und schrie: „Gaddafi!“ Und tatsächlich: die türkischen Möchtegernbodyguards wandten kurz die Köpfe um Ausschau zu halten nach jenem libyschen Tunichtgut, der im Augenblick, so war es wohl die feste Überzeugung der Männer, bestimmt nichts besseres zu tun hat, als durch Hernals zu flanieren.

Und diese drei Sekunden der vorherrschenden Verwirrung nutzte der Peppi, durchbrach den türkischen Belagerungsring und rannte los. Natürlich erkannten die solcherart Gefoppten recht schnell ihren Irrtum und nahmen umgehend die Verfolgung auf, Fatimas Brüder dabei sofort die Spitze der wilden Verfolgerhatz einnehmend. Aber so schnell kann einer gar nicht sein, als dass er einen in höchste Fluchtbereitschaft versetzten Peppi Schmalz noch einzuholen imstande wäre. Der Fairness halber sei aber gesagt: es wurde knapp, verdammt knapp.

Doch eines muss man dem Peppi lassen, er verfügt exakt über jene Art von Schlauheit, die einen Manne in solchen Situationen immer genau das richtige tun lässt. Und das richtige war, schnurstracks Richtung Kalvarienberggasse zu schurln und wie ein Pfitschipfeil in allerletzter Sekunde in die dort malerisch gelegene Kalvarienbergkirche abzutauchen. „Asyl!“, schrie der Peppi, es war gerade Vormittagsmesse und fünf pensionierte weibliche Augenpaare wandten sich ihm augenblicklich zu. Endlich passierte mal was G’scheites in der Kirche, denn immer nur daheim im TV „Sturm der Liebe“ und Rosamunde Pilcher kann ja auch nix!

Die türkische Verfolgermeute hielt jedoch inne, teils aus Respekt vor dem Gotteshaus, teils wohl aus Angst, sich beim Betreten desselben vielleicht mit irgendeinem aggressiven katholischen Virus anzustecken. Man beratschlagte kurz und heftig, und kam dann zum Schluss, dass es sich ohnedies nicht dafür stehe und dass ein ordentlicher türkischer Gentleman diese Tageszeit  wohl viel sinnvollerweise beim Barbier zubringen solle, anstatt vor einer Kirche auf so einen, wie den Peppi zu lauern. Und so zerstreuten sich die sechs braven Türken wieder, jetzt nicht mehr ganz so Familienmenschen.

Vom Peppi sei noch zu berichten, dass es nicht gewiss ist, ob er es sich verbessert hat. Augenblicklich jedenfalls, befindet er sich in der Aida am Elterleinplatz im Gewahrsam von fünf betagten und dennoch resoluten Vorstadtwitwen, allesamt versehen mit einem Übermaß an Tagesfreizeit und Redebedürfnis und wartet dort das Ende des Frühlings ab.

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