Ing. Meidl: Eine Stigmatisierung

Ingenieur Meidl hat alles versucht, aber er bekommt das mit dem Rauchen einfach seit Jahren nicht in den Griff. Seine Ehe ist schon jetzt zum Scheitern verurteilt. Nachbarn schneiden ihn, grüßen ihn nicht mehr. Einladungen von Freunden und Bekannten werden immer seltener ausgesprochen. Die fünfzehnjährige Tochter hält ihn für einen Waschlappen, dessen schwacher Charakter ihres Erzeugers nicht würdig ist. In der Firma muss er immer öfter alleine auf Pause gehen. Man möchte gemeinhin mit diesem Menschen nichts mehr zu tun haben, ja einfach nicht mehr an diesem uncoolen Typen anstreifen. Die ganze Situation macht klar, dass Süchte Leben zerstören können.

Ing. Meidl ist seit Jahren geächteter Nichtraucher. Lange konnte er die Fassade des glücklichen Rauchers aufrecht erhalten, rieb seine Kleidung mit Asche ein, hatte immer ein halbvolles Packerl in seiner Brusttasche, setzte sich nach Feierabend stundenlang in den gesteckt vollen Raucherbereich seines Lieblingscafés, nur um den Odeur der glücklichen Menschen eindringlich in sich aufzusaugen. Bis ihn seine Gattin eines Tages dabei erwischte, wie er sich die Fingerkuppen gelb färbte. Da brach seine heile Welt zusammen – es ging abwärts.

Seine Frau setzte ihm den Aschenbecher an: „Alfons, nimm dir ein Beispiel an unserer Tochter. Die raucht seit ihrem 13. Lebensjahr. Was machst du, du knieweicher Volldodel? Nichtrauchen. Pffff. Entweder du änderst jetzt schleunigst was, oder wir sind geschiedene Leute. Ich halte das nicht mehr aus!“ Oder: „Wenn du jetzt heimlich vor die Tür gehst und schon wieder keine rauchst, dann kannst du heute auf der Couch schlafen!“

Mehrere Gruppensitzungen bei den „Anonymen Nichtrauchern“ haben nichts gebracht – außer der Erkenntnis, mit seinem schwerwiegenden Problem nicht alleine auf weiter Flur zu sein. Die gesellschaftliche Stigmatisierung nahm ihren Lauf. Dabei möchte Ing. Meidl im Grunde einfach nur ein glückliches Raucherleben führen, so wie alle anderen um ihn herum auch. Aber dieser eine zwingende Moment, der ihn zur Zigarette greifen lässt, kommt nicht. Da kann er sich anstrengen, so viel er will. Er heult sich jeden Abend durch sein Kopfkissen, nimmt neidisch den himmlischen Tabakatem seiner Frau neben sich wahr. Der Anblick von im ganzen Haus verteilten Aschenbechern gibt ihm regelmäßig einen Stich in der Herzgegend. Die Angst, gesund sterben zu müssen, macht ihn schier wahnsinnig.

Morgen. Vielleicht schafft er es morgen. Vielleicht kann er morgen endlich eine rauchen. Denn wenn der erste Schritt einmal getan ist, wird alles besser. Dann segelt er in eine bessere Zukunft. In eine Zukunft voller Qualm, voll der Möglichkeiten und der sozialen Anerkennung. Das haben schließlich schon dümmere Menschen als er geschafft … wäre doch gelacht.

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