Ing. Penz und die Weltenmaschine

Der Tagesablauf in der Alsbachprinzessin ist an Samstagen immer ein deprimierender gewesen. Man möge Ihrem nichtswürdigen Chronisten diese beinahe häretische Aussage verzeihen, aber tatsächlich kann ich auch heute, an meinem Krügerl nuckelnd und mir die Stammgastrunde interessiert zu Gemüte führend, kaum Gegenteiliges feststellen. Erfolgreiche und vor Energie strotzende Menschen trinken ihr Bier woanders, das würde wohl ein Aussenstehender denken. Ein Eingeweihter weiss: in der Alsbachprinzessin trinken hauptsächlich verkannte Genies.

Die Gaststube ist voller, wie man so schön sagt „gescheiterter Existenzen“: an sich und ihrem Leben, an den Butterpreisen, oft aber auch am 10. Bier verzweifelnd. Man gibt sich den unmenschlichen und gemeinhin unterschätzten Anstrengungen des Nichtstuns hin und hofft fortwährend auf glückliche Segnungen der Vorsehung, die spontan vom Himmel herabsteigen um einen in höhere, glückbringende Sphären zu katapultieren.

Peppi Schmalz zergeht in Liebeskummer und starrt mit verklärtem Blick auf die regnerische Szenerie der Hernalser Hauptstrasse. „Fatima, wo bist du?“, scheint sein zu einem Triangel geformter Mund zu formulieren. Den Langenscheidt Türkischkurs hat er entnervt im Aschenbecher verbrannt. Jonas Reindl, Bierfahrer und notorischer Besserwisser, versucht sein Glück an Kreuzworträtseln, die schon durch die Hände ignoranter Laufkundschaft gegangen sind: jene geizigen Blutsauger, die auf ein Leitungswasser und einen kleinen Espresso einfallen, um sich vor dem Regen zu schützen und stundenlang den für die Stammkundschaft aufliegenden und reservierten Zeitungsstapel ungeniert zu durchwühlen, dabei quasi im Vorübergehen Rätsel und Suchbilder lösen und nur mehr die wirklich kniffligen Sachen übriglassen, die sowieso keinen Spaß mehr machen.

Brigitte Nau, Änderungsschneiderin mit einem kleinen Geschäft in der Blumengasse, studiert versonnen ihr tägliches Horoskop, zieht ab und an eingeschüchterte Schnuten und fragt sich wohl, warum es das Schicksal mit ihr heute wieder gar so böse meinen will.

Dann ist da noch das Lokalfaktotum Herr Nals, der mit  immer gleich ausdrucksloser Miene in den vom blauen Dunst geschwängerten Gastraum starrt und den Eindruck vermittelt, ihm sei die Welt in all ihren Irrungen und Wirrungen ein offenes Buch und dergestalt einzig und allein Spielwiese seiner willfährigen Projektionen. Manchmal blitzen seine Augen gefährlich auf, als wollten sie sagen: „Mir kann keiner was!“.

Allen Anwesenden gemein dürfte wohl die bewegende Frage sein, was man denn nun mit dem restlichen Tage und seinem angebrochenen Leben anzufangen habe. Da  sich diese Frage in den seltesten Fällen spontan in einer zufriedenstellenden Art und Weise auflösen läßt, wird einfach getrunken oder man folgt den nervenzerfetzenden Übertragungen der Curling Weltmeisterschaft auf Eurosport.

Mir selbst indes kommt das Leben nachgerade ganz vorteilhaft gehäkelt vor und schillert vor meinem geistigen Auge in den buntesten Farben einer ganz und gar verheißungsvollen Zukunft. Lieblingskellner Frantisek ist mein Freund, der Wurlitzer hat den Geist aufgegeben und das Bier schmeckt mir heute gerade so gut, wie schon seit gestern nicht mehr.

Für 16 Uhr hat sich mein alter Freund Ing. Penz angekündigt. Mit verschwörerischem Unterton hat er mir am Telefon verkündet:

„Magister, ich steh vor einem Durchbruch! Ein 300 Milliarden Projekt. Mindestens! Wir müssen darüber reden“.

Pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt ist der Ing. Penz dann auch in der Alsbachprinzessin erschienen, kommt schnurstracks auf meinen Tisch zu und begrüßt mich hochgradig euphorisiert:

„Servus Magister! Ich hab die Weltenmaschine erfunden!“

Sein völlig verwahrlostes Äußeres und sein wirrer Blick zeugen von der Unzurechnungsfähigkeit eines zu Höherem Berufenen, von  durchwachten Nächten, Gastritisanfällen und einer scheidungsreifen Ehe.

„Die … was?“, frage ich nichtsahnend, während Frantisek automatisch ein Krügerl an den Tisch bringt.

Enttäuscht, auch in mir einen ignoranten Nichtsversteher zu finden, sackt Ing. Penz auf einem Stuhl mir gegenüber zusammen. Ich nehme starken Mundgeruch wahr.

„Zwickel, die WELTENMASCHINE! Bist du so blöd oder stellst du dich nur so?“.

„Die Weltenmaschine. Gott, sag das doch gleich Ingenieur. DIE WELTENMASCHINE. Die lang herbeigesehnte Lösung all unserer Probleme. Jene Erfindung, auf die die Menschheit seit Jahrtausenden wartet und ohne deren Einsatz der Weltuntergang unmittelbar bevorstünde. Spätestens 2012. Scheiss Mayas!“.

„Richtig. Endlich jemand, der weiß worums mir geht“. Die Penz’sche Miene hellt sich merklich auf. Meine fantasievoll gedrechselten Vermutungen dürften ins Schwarze getroffen haben.

„Tja, lieber Ingenieur. Du siehst mich hin und weg. Erst gestern Nacht wälzte ich mich unruhig zwischen meinen Bettlaken und habe mich fortwährend gefragt, welchem Genie die Erfindung der Weltenmaschine endlich gelingen würde. In einem Anflug von Geringschätzung, den du mir hoffentlich nachsiehst, hätte ich zuerst auf Stephen Hawking getippt. Dummer Gedanke!“

„Stephen Hawking kann mir nicht das Wasser reichen.“

„Nie und nimmer!“

„Gestern abend gelang mir der Durchbruch. Natürlich rein zufällig … “

„Wahrlich Großes entspringt immer nur dem geplanten Zufall. Die Atombombe soll ja in ihren Grundzügen auch auf einer Kindergeburtstagsparty von einem  engagierten Clown angeregt worden sein …“

„Pipifax. Meine Erfindung sprengt alles. Sogar Atombomben“

„Leonardo da Vinci verkümmert damit wohl zu einer wissenschaftlichen Randfigur. Einstein sowieso. Die Welt wird nur noch von PENZ sprechen.“

„Wieder richtig. Dabei stand ich vor einem schier unlösbaren Problem …“

„Ich nehme an du sprichst von den unkontrollierbaren Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch?“

„Woher weißt du … „, äußert Penz gepresst und kneift die Augen zu zwei Kommata zusammen.

„Die zentrale Frage. Und die Theorie vom … „, fahre ich ruhig fort.

„… Übergangszustand!“, schmettert Penz mir entgegen.

„Richtig. In meinen Überlegungen ein absoluter Knackpunkt“, sage ich wissend.

„Adiabatische Näherungen bei der Berechnung … „. Penz wagt erneut einen Vorstoß.

„… von Geschwindigkeitskonstanten gilt es natürlich mit einzubeziehen“, werfe ich nun, Oberwasser bekommend, selbstbewusst in den Raum.

Während mein Stolz darüber, in diesem Fachgespräch die ein oder andere wichtige Betrachtung aufs Tableau zu bringen wächst, zeigt sich Penz eingeschüchtert und schockiert:

„Zwickel, wer schickt dich? CIA, Mossad, BND, Greenpeace, Blindenverband? Spucks aus!“. Er springt vom Tisch auf und fuchtelt wild mit seinen Händen vor meinem Gesicht herum.

„Mach dich nicht lächerlich. Solche Organisationen gehören im digitalen Zeitalter der Vergangenheit an. Alle meine Informationen beziehe ich über Direct-Link vom Spionagesatelliten Paranoia III, der einzig und allein auf Wiener Ingenieure angesetzt ist. Seit gestern habe ich eine passende iPhone App“, versuche ich zu beruhigen.

Ing. Penz stößt einige unartikulierte Laute aus und fällt weinend in seinen Stuhl zurück.

„Mach dir keine Sorgen, Ingenieur. Sollte der Satellit mal ausfallen bist du so gründlich verwanzt, dass uns nichts entgehen kann. Ich liebe die moderne Technik.“

Ing. Penz kriecht verängstigt unter den Tisch.

Lieblingskellner Frantisek, der uns schon länger zuhört,  kommt hinter der Schank hervor, wirft einen Blick unter den Tisch und meint:

„Herr Inscheniör, g’hören die zwei Gorillas, die draußen grad aus dem 7er-BMW steigen vielleicht zu Ihnen?“

Penz stößt einen lauten Schrei aus, reisst sich die Kleider vom Leib und rennt wimmernd zum Hinterausgang hinaus.

„Jessasmariantjosef, Magista … glaubst hammas übertrieben?“, fragt mich Frantisek mit Unschuldsmiene.

„Ach was. Aber ich konnt mir das ewige G’schichtl von der Weltenmaschine nicht ein 17000. Mal anhören“.

„Ich bring noch ein Krügerl. Und der Wurlitzer geht zum Glück auch wieder!“

„Untersteh dich, Frantisek. Paranoia II kreist auch noch … vergiss das nie!“

Den Rest des Nachmittags ist Frantisek erstaunlich stumm. Ing. Penz wird eine Stunde später splitterfasernackt am Stephansplatz aufgegriffen und weigert sich standhaft, das Versteck des Mikrofilms mit seinen Entwürfen preiszugeben.

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