Hernals – mehr brauch ich nicht

Allzu oft, wenn den Leuten vor Hitze nichts besseres mehr einfällt, fragen sie: “Na Zwickel, wo geht’s denn heuer auf Urlaub hin?” In solchen Fällen bleibe ich a) stoisch und b) ehrlich und antworte: “Elterleinplatz!”, oder “Kalvarienberg!”, oder, falls mich gerade der Hafer sticht: “Hanslteich!”, und ernte dafür so manch spöttischen Blick.

Gerne führe ich jedoch auf penetrante Nachfrage weiter aus, dass ich nunmal nicht der Typ sei, der Erholung darin findet, mit Jet-Skiern auf Sumatra Golf zu spielen, und am Abend im Club den Rolling Stones dabei zuzusehen, wie sie mit brennenden Katzen jonglieren, so wie mein Frisör dies letztes Jahr getan hat.

Außerdem bin ich Hernalser. Das sollte als Erklärung schon genügen. Der Hernalser, nein, der Ur-Hernalser steht der weiten, fremden Welt nämlich aufs äußerste misstrauisch gegenüber. So werden wir erzogen, so sind wir. Punkt. Aber weil sie schon mal hier sind, erzähle ich zwecks Beweisführung noch eine kleine erläuternde Schnurre zum Thema.

Es ist schon lange her, die 80er-Jahre waren eben erst über Hernalsens Ureinwohner hereingebrochen, da sprach ein noch sehr jugendlicher Zwickel zu seiner Familie: “Ich fahr zum Gerngross auf die Mariahilfer Straße, denn dort haben’s gar treffliche Adidas-Böcke im Sonderangebot, ohne die ein Weiterleben gänzlich undenkbar ist. Mutter, gib mir bitte Geld!” Augenblicklich trat Stille ein, lastete schwer über meinen Lieben, die mich fassungslos anglotzten, ehe mein Vater ausrief: “Was hab ich bei dem Buben nur verkehrt gemacht?”, und, Wahnsinn im Blicke, gen Stammbeisl entfloh.

Meine Mutter aber brach in Tränen aus. “Reichen dir die wunderschönen Schuh nicht mehr, die wir dir erst vorletzte Weihnachten beim Klebstöckl gekauft haben?”, schluchzte sie. Der Klebstöckl, so sei hier der Vollständigkeit halber angeführt, war unser Trafikant in der Wattgasse, die Herkunft der ‘wunderschönen Schuh’ eher dubios.

“Ähm”, argumentierte ich hieb- und stichfest, ehe meine Großmutter loswetterte: “Muss es denn gleich Mariahilf sein? Reicht dir denn unser schönes Hernals nicht mehr? Ihr wisst’s doch alle: was der liebe Gott durch den Gürtel getrennt hat, …” Nur mein Opa blieb sachdienlich und Herr der Lage. “Wart Bub, bevor ich dich so ziehen lass …”, murmelte er und verschwand im großelterlichen Beaudoir. Ich hörte zwar große Sorge aus seiner Stimme heraus, aber auch Stolz. Kurz darauf kehrte er vollbepackt wieder. “Da hast”, sagte er, “das hat mich in Stalingrad durch so manche Nacht gebracht.” Mit diesen Worten drückte er mir eine riesige Schnupftabakdose in die Hand. “Du, Opa”, begann ich, kam aber nicht weit. “Brauchst mir nicht zu danken, Bub. Ich weiß genau, wie du dich fühlst. Hier hast noch meinen alten Wehrmachtsflachmann. Und bleib von den Huren weg!”

“Ferdi!”, zischte meine Großmutter da zornig, umarmte mich in der nächsten Sekunde aber inniglich und drückte mir mit einem geflüsterten “Bleib gsund, Bub!” heimlich einen größeren Geldschein in die Hand. Unter Tränen und vielen lieben Grußworten fand ich mich im Stiegenhaus wieder. Meinen Opa hörte ich noch von drinnen rufen: “Soll ich ihm nicht doch noch mein altes Sturmgewehr …?”, dann fiel die Tür zu.

All das, werter Leser, mag ihnen lächerlich erscheinen. Fakt ist jedenfalls, dass es mich seinerzeit geschlagene fünf Tage kostete, beim Gerngross in Mariahilf diese “trefflichen Adidas-Böcke” zu ergattern. Fünf Tage, die ich nicht nach Hause kam, fünf Tage, in denen es die ferne, nichthernalserische Welt nicht allzu gut mit mir meinte. Details über meinen Verbleib möchte ich ihnen und vor allem mir an dieser Stelle ersparen. Nur soviel: den Schnupftabak vom Opa hab ich zur Gänze verbraucht und die G’schicht mit den Huren ist mir nur teilweise gelungen.

Jedenfalls hat es sich in dieser Zeit tief in mich eingebrannt, was ich an meinem Hernals habe, und immer wenn mich ab und an doch die Sehnsucht überkommt, den Hernalser Gürtel hinter mir zu lassen, genehmige ich mir zur Abschreckung eine Prise Schnupftabak. Den hasse ich nämlich seitdem.

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