Fällig bis

Es sind dies traurige Tage, in diesem Feber 2015. Musste ich doch feststellen, dass auch ich nicht unfehlbar bin. Am deutlichsten manifestiert sich diese einschneidende Erkenntnis in der Aufarbeitung einer meiner Jugendsünden – man könnte rückblickend fast sagen: „Es war ein Lausbubenstreich“: Ich hatte es in einem Anflug von maßloser Hybris und Selbstvertrauen vor einigen Jahren gewagt, meinen gutbezahlten Job als Hutschnurdräusler in einem Hernalser Traditionsunternehmen an den Nagel zu hängen, um fürderhin einer selbständigen Tätigkeit als Gewerbetreibender nachzugehen. Was für eine Schnapsidee! Die genauen Umstände meines einjährigen Ausflugs in diese kunterbunte, schillernde, aber doch so komplexe und von den Wechselhaftigkeiten des Lebens getragenen Welt der Entrepreneure überlasse ich, aufgrund ihrer in letzter Konsequenz absoluten Irrelevanz, dem Rotlichtbereich Ihrer blühenden Phantasie.

Nur so viel sei angemerkt: Reuig, mit den Tränen eines an der Grausamkeit des Haifischbeckens da draußen Gescheiterten in den Augen, kehrte ich in die heimelige, schützende Obhut einer der vielen Lohnsklavereien dieses Landes zurück, um meinem Leben – bis dahin geprägt von mehr oder weniger ausgiebigen Fensterkitt-Fressorgien, Besuchen beim Sozialmarkt und dem steten Wechsel von Umsatzsteuervoranmeldungen, Sozialversicherungsbeitragseinzahlungen und dem Abwenden von Exekutionsverfahren – wieder Brücken in eine neue Sinnwirklichkeit hinein zu bauen.

Meine hinter mir liegende Zeit als Einzelunternehmer konnte ich wochenlang nicht vergessen, aber irgendwann setzte ich doch ein geistiges Hakerl unter all diese unschönen Erinnerungen, unter all die bösen, nicht-zahlenden Kunden, unter das Finanzamt, die SVA der gewerblichen Wirtschaft, unter A. Jagsch, den Gerichtsvollzieher meines Vertrauens, der mittlerweile einer meiner besten Freunde ist, unter mein hoffnungslos überzogenes Konto, das sich alsbald wieder deutlich erholte, unter hohnlachende Bankomaten, die mir ihre rotumrandeten Popups schon am 5. des Monats genüsslich unter die Nase gerieben hatten, die Wortfolge „Fällig bis“ strich ich reinen Gewissens alsbald aus meinem Gedächtnis – kurzum, ich hatte mich mit dem Haifischbecken da draußen ausgesöhnt.

Das Haifischbecken da draußen sich allerdings nicht mit mir. Zwei Jahre später – die Welt kam mir so vorteilhaft gehäkelt vor, wie schon lange nicht – prasselte es aus heiterem Himmel auf mich ein, dass sogar die frohgemut abkotenden Zeisigschwärme am orange getünchten Horizont in dieser vorweihnachtlich-besinnlichen Zeit mir keine Freude mehr bereiten konnten: Ich wurde von heute auf morgen zum Hiob aus Hernals und bezahlte für die Dummheit, mich einmal im Leben erfrecht zu haben, Unternehmer zu spielen.

Hier die Chronik meines Bankrotts, die wieder einmal deutlich macht – wer in Österreich zu einem kleinen Vermögen kommen möchte, muss mit einem großen anfangen:

27.10.2014: Umsatzsteuerbescheid & Einkommenssteuerbescheid, Berichtigung 2012: Nachforderung EUR 5340,71, fällig bis 01.12.2014

Ein Schock – aber „jetzt“, so dachte ich, „kann eigentlich nix mehr kommen“.

03.12.2014: Rsb Bezirksgericht Hernals. Mahnklage: Kirchenbeitrag der letzten 4 Jahre wird eingeklagt. Als Unternehmer denkt man da einfach nicht dran … man ist ja so aufs Wirtschaftstreiben fokussiert. Und selbst wenn: Man hätte das Geld für diesen spirituellen Vereinsschuppen gar nicht gehabt. EUR 1201,36, fällig bis 17.12.2014

Der nächste Schock. Aber jetzt kann wirklich NIX mehr kommen!

06.02.2015: Ein unscheinbarer Brief der SVA der gewerblichen Wirtschaft leuchtet aus dem Postkasterl. Da weiß ich plötzlich siedendheiß, welch‘ Stündlein mir geschlagen hat:

Pensionsversicherung, Nachbemessung für 2012: EUR 2270,-, fällig bis 28.2.2015

„Jetzt kann aber wirklich nichts mehr kommen!“, denke ich, zwar zerknirscht, aber doch voll der Hoffnung, all meine Fehler hart und unerbittlich genug abgegolten zu haben – vor den Behörden, dem Staat, der Menschheit, der Weltengeschichte, dem Herrgott und dem ganzen Universum.

09.02.2015: Ein Brief im Postkasterl. Diesmal klopfen die Wiener Linien an:

„Sehr geehrter Herr Mag. Zwickel,

nach Durchsicht unserer Akten ergibt sich eine Nachforderung in der Höhe von EUR 2300,34 (inkl. Zinsen, Strafgebühren, Verzugszinsen und Zinseszinseszinsen) für die von Ihrem Großvater P. Zwickel für das Wintersemester 1938/39 gelöste Semesterkarte, für die insgesamt zwei Monatsmarken nicht vollständig geklebt wurden.

Der Betrag ist fällig bis ….“

Gut, jetzt kann aber wirklich NIX mehr kommen.

11.02.2015:

„Bund der Nachzahlungsforderer, 1080 Wien

Sehr geehrter Herr Mag. Zwickel,

aus unseren Unterlagen ergibt sich, dass Sie uns insgesamt Nachzahlungen in der Höhe von EUR 143.000,00 schuldig sind. Die Forderung gründet sich auf die unwiderlegbare Tatsache, dass Sie Ihre Nachzahlungen und jene Ihrer Vorfahren noch nicht zur Gänze nachgezahlt haben, und offene Forderungen aus diesen Nachzahlungsrückständen bis zu einem Nachzahlungszeitraum von rückwirkend 2000 Nachzahlungsjahren nach der letzten geleisteten Nachzahlung nachgezahlt werden müssen. Berücksichtigt sind in dieser Aufstellung Nachzahlungsforderungen bis zu Ihrem Urahnen Karl Zwickel (*1726). Die genauen Nachzahlungsforderungen für den  Zeitraum 15.n.Chr bis 1726 sind noch Gegenstand unserer Ermittlungen und werden Ihnen im Laufe der nächsten 45 Jahre verlässlich zugestellt.

Der o.a. Nachzahlungspauschalbetrag von EUR 143.000,00 ist fällig bis …“

Jetzt kann aber ECHT nix mehr kommen … ich weiß nicht, ob ich den Brief von diesem Inkassobüro im Auftrag des armenischen Origamibastelverbands, den ich gerade aus dem Postkasten gefischt habe, wirklich aufmachen soll …

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