Finanzkrise

Meine finanzielle Situation ist prekär. Ich will es nicht
beschönigen: die Verdienstmöglichkeiten im Schankberatungsgewerbe
haben sich in den letzten Jahren nicht zum Besten entwickelt. Vorbei
sind die goldenen Zeiten, in denen mir die Hernalser Gastwirte gleich
im Dutzend an den Lippen hingen, um meine Segnungen in Sachen
Schankkultur und Umsatzoptimierung zu empfangen. Heute erklärt jeder
Wirt, dass das seit drei Tagen in der Zapfleitung vor sich
hinsiechende lauwarme Schankbier ein „Lager Spezial“ wäre, und
das gehöre eben bei Raumtemperatur serviert.

Aber das alleine ist es nicht, was mich seit einigen Wochen beim
BILLA am Elterleinplatz zum Clever-Schinken greifen lässt, anstatt
wie früher an der Feinkosttheke generöse 50 dag Saunaschinken vom
tasmanischen Hochlandschwein zu ordern. Nein, hauptverantwortlich für
meine monetäre Misere ist der Verleger und gleichzeitige
Chefredakteur des Hernalser Morgenpostillons, den ich seit
Menschengedenken, wacker und aufrecht und mit der Pünktlichkeit
eines tschechischen Dampfweckers tagtäglich mit einer Kolumne
bediene, auf dass mein geschriebenes Wort die Hernalser Menschheit
erfreue und zum Besseren bekehre.

Drei Wochen ist es jetzt her, seit ich bestens gelaunt und
angefüllt mit der Energie eines frisch massierten Kobe-Stiers früh
morgens gegen halb zwölf die Redaktionsräumlichkeiten des
Morgenpostillons betrat, um mein allwöchentliches Pensum an
Pullitzerpreisverdächtigem abzuliefern. Mit Grabesmiene empfing er
mich, der Herr Chefredakteur, fette Tränensäcke hatten sich seit
unserer letzten Begegnung unter seinen Augen manifestiert und seine
Stirn war gefurchter als die Dolomiten. Auf seinem Schreibtisch sah
ich neben der aktuellen Ausgabe der Praline, aus der der Herr
Chefredakteur seit vielen Jahren seine journalistische Kraft und
Inspiration schöpft, einige Computerausdrucke liegen, offenkundig
Excel-Diagramme.

 

Ah, Zwickel, du bist’s, so begrüßte er mich mit einem
greisenhaft dünnbrüchigen Stimmchen. Komm, setz dich her zu mir,
wir haben was zu bereden. Etwas an seinem Tonfall irritierte mich.
Das mochte daran liegen, dass ich im Pay-TV schon zu viele
Alpen-Soaps gesehen hatte, in denen der alte Gutsherr seinem jungen
und blendend aussehendem Erben mitteilt, dass das Hotel Enzian
natürlich noch immer seine gut zwanzig Mille wert sei, er es jedoch
schon im letzten Herbst dringlich an die Raiffeisen, diese elende
Bagage, hätte überschreiben müssen, und dass an der G’schicht mit
dem Kartenzählen beim Black Jack ja nun wirklich gar nix Wahres dran
wär, bei seiner Ehr …

 

Zwickel, so fuhr der Chefredakteur fort, als ich zögernd Platz
genommen hatte, die Zeiten sind schlecht. Und dabei wies er auf die
Diagramme vor sich, deren Kurven allesamt beängstigend steil nach
unten zeigten. Die Leut wollen heutzutage nichts mehr lesen, sogar
die, die es noch können, verweigern sich uns hartnäckig. Die
Umsätze vom Postillon brechen ein und offene Rechnungen fluten in
die Redaktion, wie anno Moses das Rote Meer über die Ägypter. Und
deswegen, mein guter, mein lieber Zwickel, und an dieser Stelle
mäanderte tatsächlich ein Tränchen über seine hohlen Wangen, muss
ich dir kündigen.

 

Jetzt war ich es, dem die Hitze ins Gesicht schoss und in meinen
Ohren rauschte es, dass ich nicht einmal den 43er wahrnahm, der
gerade an den Redaktionsfenstern vorbeibimmelte. Das ist ein blöder
Schmäh, oder?, brachte ich endlich heraus. Ach, wenn’s nur so wär,
sagte der Chefredakteur, wenn’s nur so wär. Aber die Leut lieben
meine Kolumne, stieß ich hervor, und ich spürte, wie sich billiger
Zorn in mir den Weg nach draußen bahnte. Ohne mich, schrie ich
jetzt, ist der ganze Postillon doch nur eine einzige
Oarschauswischerpartie, eine Einlag für’n Vogelkäfig! Schon lange
hatte sich keine so gerechte Wut meiner bemächtigt. Der
Chefredakteur hielt die Äuglein geschlossen und massierte sich die
Schläfen. Schau Zwickel, sagte er, das Problem ist ganz einfach: du
bist schon so lang bei uns dabei, dass du inzwischen schlicht zu
teuer für den Postillon geworden bist. Die anderen Redakteure
leisten im Grunde das gleiche wie du, sind aber um Eckhäuser weniger
kostspielig. Nimm dir nur mal den jungen Zehetbauer aus der 6B als
Beispiel her. Der macht mir den Politikteil neben der Schülerzeitung
vom Parhamerplatz quasi gratis mit – wenn ich dem einmal im Monat
ein paar Flaschen vom Selbstgebrannten von meiner Oma und zwei
Stangen Dreier geb, dann ist der glücklich! Oder das Feuilleton!
Dafür, dass ich die alte Zöhrer bei uns veröffentlich, putzt die
mir auch noch die Redaktion. Und das Innenstadtloft von meiner
Schwiegermutter gleich mit. Die hat halt noch ein Gespür fürs
Unternehmertum, und das mit ihren neunundachtzig!

Unter solch knallharten Argumentationsbeschuss geraten wollte mir
gar nichts rechtes mehr einfallen, mein Zorn verrauchte und ich
erwischte mich dabei, wie ich in meinem Sakko nach einem Taschentuch
fingerte, um die Chefredakteurswangen zu trocknen. Ein allerletztes
Aufbäumen hatte ich aber noch in petto. Und womit willst du meine
Seite im Postillon füllen, fragte ich bitter, mit einer Werbeanzeige
vom Trafikanten in der Rosensteingasse vielleicht? Der Chefredakteur
hob kurz die Augenbrauen. Du, das ist gar keine so schlechte Idee,
sagte er, aber eigentlich hab ich da so einen blutjungen slowakischen
Literaten an der Hand, der mich mit Limericks beliefern würd …

Limericks, schrie ich gequält auf, ja ist das dein ganzer Ernst?
Slowakische Limericks, korrigierte mich der Chefredakteur maliziös,
denn auch der Postillon muss seinen Teil an Integrationsarbeit in
dieser, unserer Stadt leisten. Außerdem hat mir das slowakische
Genie in die Hand versprochen, dass mein Mercedes wieder wie neu
ausschauen würd, sobald ihn sich der Neffe des Cousins seiner
Stiefmutter mal vorgenommen hat.

 

Genug, brüllte es an dieser Stelle waidwund aus mir. Ich stürzte
zu Boden und robbte, einem gestrandeten Blauwal nicht unähnlich, gen
Ausgang. Blutunterlaufenen Auges wollte ich die Türklinke drücken.
Eine Möglichkeit für dich und den Postillon tät mir da allerdings
doch noch einfallen, vernahm ich da den Chefredakteur hinter mir. Ich
kann aber keine Haar schneiden, kreischte ich, ehrlich nicht! Dann
verlor ich das Bewusstsein.

 

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