Kürzarbeit

In der Welt der Zeitungsleute gibt es eine Reihe von Quasi-Gesetzen, allesamt unbarmherzig und grausam. “Der Chefredakteur hat immer Recht”, wäre ein Beispiel. Oder: “Der Lektor beherrscht seine Grammatik”. Besonders hübsch, wie ich finde: “Der Layouter weiß, wie’s gut aussieht”. Den Terminus “Quasi” habe ich mir zu Anfang erlaubt, da all diesen Gesetzen gemein ist, dass sie im Zeitungsalltag zwar mit physikalischer Präzision gelebt werden, bislang jedoch unbewiesen sind.

Genau diese Unbewiesenheit, dieser Hauch des leisen aber berechtigten Zweifels unterscheidet sie von der simpelsten und gleichzeitig unantastbarsten aller Regeln: “Der Kolumnist ist wirklich das Allerletzte!” Das ist der pythagoräische Satz des Zeitungsvolkes, die Weltformel, ohne die keine Tageszeitung, kein Wochenblatt, kein Jahresalmanach jemals erscheinen könnte.

Ich will mich an dieser Stelle gar nicht darüber beschweren, dass sich gefühlte hundertzehn Prozent aller bei mir einlangenden Aufträge mit Themen befassen, die mir soviel Freude bereiten wie das Absingen der mongolischen Staatshymne unter Wasser. Oh, nein! Auf ein, mir vom Chefredakteur des Hernalser Morgenpostillons telefonisch entgegengeschmettertes “Geh, Zwickel, bis morgen brauch ich von dir was Lustiges übers Trinkwasser!”, reagiere ich cool und professionell und besaufe mich erstmal bis zum Verlust der Muttersprache. Was mir jedoch richtig Migräne verursacht, ist die Sache mit der Länge. Oder mit der Kürze, je nachdem.

Die Wahrheit ist nämlich, dass oben stehender Satz immer, ja IMMER, ergänzt wird durch, zum Beispiel, ein saloppes “Du weißt aber eh: höchstens hundertsechzig. Mit!” Bedeutet übersetzt, dass der gute Herr Chefredakteur a) was übers Trinkwasser will, dies b) lustig sein soll, und dass dieses Meisterwerk dann c) auf gar keinen Fall die epische Länge von hundertsechzig Zeichen mit Leerzeichen überschreiten darf, andernfalls Österreich aus den Vereinten Nationen rausgeworfen wird. Probieren Sie das bitte mal!

Überhaupt lassen meine Auftraggeber in dieser Causa ihrer Fantasie stets freien Lauf, nicht jeder vermag präzise zu sein. “Keinen Roman bitte”, bekommt man da zu hören. “Nicht zu lang und nicht zu kurz”, ist ebenfalls beliebt. Jenen obskuren Fall möchte ich ihnen nicht vorenthalten, in dem sich der Herausgeber einer quartalsweise erscheinenden Fachzeitschrift von mir einen Artikel von exakt (sic!) 632 Zeichen Länge ausbat. “Vorgabe vom Layouter”, meinte er, “der weiß wie’s gut aussieht!” Ah ja.

Früher war ich naiv (renitent, redete ich mir damals ein) und lieferte stets Geschriebenes irgendeiner Länge, bloß um Redakteure und Lektoren zu zwingen, mich auf Knien und händeringend um Kürzung anzuflehen. Das war natürlich blöd von mir, denn meist setzten diese Barbaren gleich selbst den Rotstift an. Geht ja schneller, haben wir ja gleich. Wie tragisch das enden kann, beweist ein Beitrag von mir, den ich dereinst für “Das Flohband” verfasst habe, das offizielle Organ der Wiener Kleinhundehalter. Hier fand sich folgender, von mir perfekt in Szene gesetzter Absatz:

“Auch im eigenen Heim vermag sich das schottische Kurzhaar perfekt zu integrieren. Die ihm wohl über die Jahrhunderte angezüchtete Sesshaftigkeit macht es zum perfekten Wohngefährten. Freundlich, duldsam, sauber und speziell in den Nachtstunden ruhig und brav, bereitet es seinem Halter nichts als Vergnügen.”

Gut, oder? Aber natürlich viel zu lang. Jedenfalls durfte ich mit Bestürzung in der fertigen Ausgabe, unter meinem Namen veröffentlicht, lesen:

“Für daheim ist das schottische Kurzhaar perfekt. Seit Jahrhunderten bereitet es seinen Haltern Vergnügen. Speziell in den Nachtstunden.”

Ein geschlagenes Jahr lang wurde ich von der Hernalser Dackelgemeinde geschnitten. Seither bin ich jedenfalls auf der Hut, bemüht, alle Längenvorgaben an mein geschriebenes Wort peinlich genau einzuhalten. Nicht immer gelingt es mir dabei, Großes zu schaffen. So wand ich mich auch aus der oben zitierten Trinkwasseraffäre zum Abgabetermin mit einer Flucht ins Lyrische:

“WassiWassiWassiWassiWassiWassiWassiWassiWassiWassiWassiWassiWassiWassiWassiWassiWassiWassiWassiWassi – Trink!”

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