Bitte nicht fortschreiten (Version mit Balsamico)

Zeiten haben die ärgerliche Angewohnheit, sich zu ändern. Für einen wie mich ist das nicht immer angenehm. Das Unbewegte, das Statische ist eben tief in mir verwurzelt. Und ist “Fortschritt” nicht auch nur ein Schritt, und zwar ein höchst ungewisser? Bis dato konnte mir jedenfalls noch keiner erklären, in welcher Richtung denn sich dieses dem “Schritt” so scheinbar harmlos vorangestellte “Fort” eigentlich befindet. Das ist halt dort, so versuchte mir unlängst der Ingenieur Penz den Fortschritt nahe zu bringen, wo wir gerade nicht sind. Nicht, dass ich mich danach besser gefühlt hätte.

Zu welchen Sinneskapriolen dieses Fortschreiten führt, sieht man schon an so einfachen täglichen Verrichtungen wie dem Telefonieren. Die jüngeren untern meinen Lesern wissen es zwar nicht, aber früher hing an jedem Telefonhörer, der etwas auf sich hielt, eine Schnur. Damit war jedem klar, dass die Töne irgendwie durch diese Schnur bis zum Ohr gelangen, um sich dort auf magische Art und Weise als gesprochene Worte zu erkennen geben und hörbar zu werden. Das funktionierte.

Irgendwann jedoch ließ irgendein fortschrittshöriger Kleingeist die Schnur einfach weg, und es funktionierte immer noch. Jetzt frage ich: ist das nicht eine Art des Fortschreitens, die für einen normal denkenden Menschen zutiefst verstörend ist? Denn was kommt als nächstes? Lässt man irgendwann das Telefon selbst weg, und es wird immer noch gehen? Oder werden die Scheißdinger so klein, dass man sie sich bequem in die Nase oder die Ohren stopfen kann? Gut, als HNO-Arzt findet man diesen Fortschreit vielleicht ok, aber ich bin zutiefst beunruhigt.

Nächstes Beispiel. In der guten, nicht fortgeschrittenen Zeit ging man ins Caféhaus und bestellte dort einen Verlängerten. Oder einen Einspänner. Hatte man Liebeskummer vielleicht sogar einen kleinen Schwarzen. Versuchen Sie das heute mal. Nicht genug, dass das Caféhaus heute nicht mehr Caféhaus, sondern Starbucks heißt, oh nein, die Soziologiestudentin im sechzehnten Semester, von der sie dort “bedient” werden, sieht sie mit großen Kuhaugen an, als wären sie ihr nahe getreten. Verlängerter? Huch! Die versteht Sie gar nicht mehr. Da können sie weinend und wimmernd auf die Knie fallen und zittrig auf die einfamilienhausgroßen, mit frisch gerösteten Kaffeebohnen gefüllten Silos hinter ihr deuten, wie sie lustig sind. Ohne das Wissen um eine Zauberformel à la “Coffeeventeskinnydoublevanillacapupresso” können sie sich brausen. Und dann schmeckt das Zeug auch noch so, wie es sich bestellt.

Was bleibt einem unfortgeschrittenen Menschen wie mir also noch übrig, als permanent an Orten Zuflucht zu suchen, die es mit dem Fortschrittlichen genau so halten, wie man selbst das gerne tun würde? Sprich: es zu ignorieren! Und genau dieses nicht Rück-, nicht Fort-, sondern das Aufderstelleschreiten ist es, das ich ich meiner Alsbachprinzessin so hoch anrechne. Ich bin sicher: irgendwann in den 70ern hat der damals Zuständige in meinem Lieblingsbeisl einfach einen Schalter umgelegt. Fortschritt? Brauchma ned! Und das war gut so. Denn mal ehrlich: Zwetschenknödel mit Balsamico? Muss nicht sein, oder?

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