Salzgurken im Berufsalltag – eine Schonungslosigkeit

Auch wenn es Ihnen, werte Leserschaft meiner launigen Schilderungen so vorkommen mag, als wäre mein Alltag nichts anderes als ein einziger langer Sonntagnachmittag im Wurstelprater – aufregend und voller Salzgurken – ich darf Ihnen versichern: das Gegenteil ist der Fall.

Zugegeben, Salzgurken spielen im Leben eines Schankberaters eine nicht zu unterschätzende Rolle, aber der Kontext in dem mein tägliches Leben von dieser wunderbaren Delikatesse gekreuzt wird, hat mit dem Terminus “aufregend” ungefähr soviel zu tun, wie eine Garnitur der 9er-Linie mit der fantastischen Beschreibung “gähnend leer”.

Aus diesem Grunde möchte ich all jenen unter Ihnen, die sich vielleicht mit dem verzweifelten Gedanken spielen, ebenfalls die Karriere eines Schankberaters anzustreben, kurz und bündig schildern, wie die Wahrheit aussieht. Und zwar nichts als die Wahrheit, das bin ich Ihnen und vor allem mir schuldig. Das Schöne am Schankberatermetier: man benötigt kein Büro. Ein Stammtisch im Lokal der Wahl ist alles, was es zum Unglücklichsein braucht. In meinem Falle ist dies, das weiß ohnedies jedes Hernalser Vorstadtkind, die Alsbachprinzessin. Dort schlage ich tagtäglich meine Zelte auf, brüte über meiner Korrespondenz, pflege Kontakte und studiere Problemfälle die von ratlosen Gastronomen und deren nicht minder ratlosen Gästen an mich herangetragen werden. Ergänzt wird diese betriebsame Atmosphäre in meinem speziellen Fall von Ober- und Lieblingskellner Frantisek, der in seinem Tun und Handeln durchaus mit einer entbehrlichen Chefsekretärin verglichen werden kann, für die es nichts wichtigeres gibt, als ihrem Vorgesetzten so richtig auf den Sack zu gehen. Dazu ein kleiner Beispieldialog, wie er sich schon hundertfach zwischen Frantisek und mir zugetragen hat. Stellen Sie sich dazu bitte einfach vor, dass ich gerade mitten in der Lektüre des überaus komplizierten Jahresberichts des Österreichischen Tegestologenverbandes – Sektion Hernals vertieft bin. Es ist 8 Uhr 45.

“Magst a Bier, Magista?”

“M-m”

“Vielleicht a Melansch?”

“Danke, später vielleicht.”

“Hast an Hunger? A Paarl Debreziner von gestern waratn noch da!“

“Jetzt nicht, Frantisek. Ich muss das erst fertigmachen.”

“Du arbeitest z’viel, Magista. Was is’n des überhaupt?”

An dieser Stelle erhebe ich stets den Blick, um herauszufinden, wer außer mir in der Prinzessin vielleicht noch die Aufmerksamkeit von Frantisek verdienen könnte. Darin ähnle ich einem aufmerksamen Hundebesitzer, der sich überlegt, in welche Richtung er seinem geliebten Gefährten das Stöckchen werfen könnte. Ich entdecke jedoch lediglich den Ingenieur Penz, seines Zeichens Weltenmaschinenerfinder, ins Gespräch vertieft mit dem Doktor Ampelfieber, Neuwaldeggs einzigem Gaschromatographenverleiher. Die beiden hecken wie üblich einen ihrer unfehlbaren Pläne aus, wie sie mit möglichst wenig Aufwand und ohne dabei jemandem auf die Füße zu treten die Weltherrschaft an sich reissen könnten. Das tun sie seit zwanzig Jahren, sind dabei jedoch noch nicht über die Konzeptphase hinausgekommen. Inzwischen hat sich Frantisek an meine Seite gesellt und linst mir über die Schulter.

“Geh, Frantisek”, möchte ich ihn verscheuchen, “das ist vertraulich.”

“Haha, Magista”, grient der Oberkellner, “dreh kan Film, des san doch bloß die Bierdeckelbuseranten.”

Ich seufze möglichst demonstrativ. An dieser Stelle ist stets meine Kreativität gefordert. Vor meinem inneren Auge entsteht die Vorstellung eines vierzehngängigen Frühstücks mit dem ich Frantisek beschäftigen könnte, gleich einem hyperaktiven Teenager, den man vor eine Playstation setzt. In Wahrheit würde dieser perfide Plan jedoch lediglich zu Schweißausbrüchen von Frau Magda in der Küche führen und damit gänzlich ins Leere laufen. Stattdessen sage ich: “Wie schaut’s denn mit den Metrorechnungen vom März aus?” Im Normalfall reicht eine solch harmlose Frage aus, um Frantisek für mindestens fünfzehn Minuten hinter die Schank zu vertreiben, um dort zum gefühlt vierten Mal die Biergläser zu polieren.  Und mehr als diese fünfzehn Minuten benötigt mein wacher Geist nicht, um selbst den aufwändigsten Papierkram zu erledigen.

Danach ein Blick auf die Uhr: 9 Uhr 15 – ein Wahnsinn, wie die Zeit verfliegt, wenn man sie mit guter und vor allem wichtiger Arbeit zu füllen vermag. Mein Blick sucht den von Frantisek, Worte brauchen wir keine, und zehn Sekunden später steht das erste Frischgezapfte des Tages vor mir.

Ich hoffe, Ihnen, werter Schankberatungsaspirant, mit dieser schonungslosen Schilderung meines Berufsalltags ein für allemal die Flausen aus dem Kopf ausgetrieben zu haben. Falls Sie jedoch zu den ganz Unbelehrbaren gehören, also zu den ganz Abgebrühten und Ausgebufften, die sich von solchen Horrorgeschichten nicht von ihrer wahren Berufung abbringen lassen, dann nur zu. Tun Sie, was Sie auch lassen könnten. Bloß eines noch: Salzgurken sollten Sie mögen. Das wäre ganz wichtig …

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