Scripted Reality

Das Nachmittagsprogramm der Privatsender lehrt uns eindringlich: das wahre Leben ist langweilig und bringt keine Quoten. Lebensabgründe müssen, um vom Zuschauer als solche erkannt und verstanden zu werden, von klugen Menschen ins rechte Licht gerückt und entsprechend aufgepeppt werden. Solche zusehends aufstrebende und im Hintergrund am Gesellschaftsbild der Postmoderne schreibende Aufdecker nennt man ganz lapidar „Drehbuchautoren“, eine Berufsbezeichnung, die ihrem hohen soziopolitischen Stellenwert in keinem Fall gerecht wird.

Denn schließlich gewähren sie uns in sogenannten „Reality-Dokus“ einen zutiefst schauderhaften und daher unterhaltsamen und aufbauenden Einblick in das Leben von Totalversagern, fremdgehenden Hooligans, alleinerziehenden Hartz-IV-Faulenzerinnen oder taubstummen Auswanderern. Der Verdienst dieser schreibenden Zunft liegt auf der Hand: das Leid, die Dummheit und die finanziellen Nöte von wildfremden Menschen wird derart geschickt ins Szene gesetzt, dass man sich selbst daran hochziehen kann. Gut, manches ist auch erfunden, zugegeben. Aber höchstens 85%.

Ich bin seit kurzem solch ein „Reality Scripter“. Für das neue Format eines österreichischen Privatsenders „Brauer sucht Frau“ schreibe ich soeben an der 1. Staffel, eine Aufgabe, die schwieriger nicht sein könnte. Am Wiener Karlsplatz hatte Lieblingskellner Frantisek im Vorfeld bereits TV-geeignete Gesichter gecastet. Neben den üblichen Fragen wie „Willst du ins Fernsehen?“, „Willst du zu- oder abnehmen?“, „Bist du vorbestraft? Hast du ein Alkoholproblem?“ etc. wurde besonderen Wert auf „Typen“ gelegt. So weit, so gut. Auf das 6-Pack Ottakringer als Köder fielen doch einige arme Schweine herein, die nun in meinem Customer Relations Managementsystem erfasst sind, und für die Rollen zu schreiben sind.

Wie aber macht man aus einem arbeitslosen, 54-jährigen Maler und Anstreicher einen Bierbrauer? Kein Problem – ich stecke ihn in einen blauen Arbeitsmantel. Aufs Biertrinken versteht er sich schon, da ist wenig zu tun. Gebraut wird ohnehin fiktiv, und das Brauereigelände stellt ein Freund zur Verfügung, der mir noch einen Gefallen schuldig ist. Die Kandidatinnen, in deren Namen ich rührende Bewerbungsbriefe schreiben werde, sind nach 15 Minuten Autofahrt auf der Felberstraße, je 20 Euro pro Birnenpopsch und dem Versprechen, sie für das nächste Projekt – „Vienna’s Next Tophure“ – zu berücksichtigen auch schnell gefunden.

Aus Josef dem mürrischen arbeitslosen Maler aus Wien IV wird in nur einer Nacht und zwei MS Word-Abstürzen „August, der sensible Weizenbierbrauer aus Himberg“. Für seinen Vorstellungsspot an die Damenwelt habe ich mir eine rührende und realistische Geschichte überlegt, wie sie wohl in Österreich öfters vorkommt: Der jetzt 39-jährige Ex-Heeressportler (Sudoku und Monopoly) ist vor 5 Jahren auf seinem Hopfenfeld von einer abstürzenden slowakischen Cessna getroffen worden und hat ein Bein verloren. Daraufhin hat ihn seine Frau, diese treulose Hexe, verlassen, und ist mit dem Mähdreschermechaniker aus Aserbaidschan, zwei Fässern Bier, dem ganzen Vermögen und den Kindern nach Wiener Neustadt durchgebrannt, wo sie seitdem unauffindbar ist. August, also Josef, sucht eine Frau. Irgendeine.

Aber an der schreibe ich noch. Wenn Sie eine Bekannte haben, die ins Fernsehen will und zufällig einen Mann sucht melden Sie sich bitte bei mir. Sollte sie keinen suchen ist das auch OK – im Drehbuch haben wir Spielraum. Wir schreiben dann an einer besseren Zukunft für alle Beteiligten, inklusive der Zuschauer. Komplett aus dem Leben gegriffen. Höchstens 95% sind erfunden. Vielleicht auch ein bisschen mehr – schließlich bin ich Künstler …

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